Die Identifikation einer potentiellen Führungskraft bis zur Entwicklung eines angemessenen Reifegrades ist eine Herausforderung der besonderen Art für Unternehmen. Denn Kompetenzentwicklung, Digitalität und massive Änderungseinflüsse von Außen stellen die Entwicklung vor neue - bisher unbekannte Aufgaben.
Das Meta-Ziel über allen Maßnahmen im Unternehmen ist die Gewinnmaximierung. Das ist heutzutage kein schönes Wort, doch auch bei aller sozialen Verantwortung und vor dem Hintergrund der UN-Nachhaltigkeitskriterien bleibt dieses Ziel immer im Masterfokus. Denn ohne Gewinne gibt es bekanntermaßen keine Entwicklungsprogramme. Das bringt uns an
dieser Stelle zum ersten Punkt in der Betrachtung innovativer Führungskräftenachwuchsprogramme (FKN).
Bereits in der Einschätzung der Skills - beispielsweise im CV- sind bestimmte Kompetenzen ablesbar, allerdings nicht in den Primärmerkmalen Schule, Ausbildung, Studium, Beruf, sondern in der Sekundärmerkmalen. Diese Rubrik findet sich unter der Kategorie “Sonstiges, Hobbies”. Denn heute und in Zukunft geht es weniger um formale Qualifikationen und auch nicht um Fähigkeiten (!), sondern um die Bereitschaft, etwas in entsprechender Kompetenzausprägung zu tun. Das Handeln steht im Vordergrund, denn aus dem Handeln in der Vergangenheit lässt sich in etwa auf das Handeln in der Zukunft interpolieren und Handeln kann - im Gegensatz zum tiefenpsychologisch verankerten Verhalten- auch pragmatisch entwickelt werden.
Wenn also ein Kandidat im Kirchenchor singt, lässt sich daraus ableiten, dass die Person teamfähig ist und sich an Werten orientieren kann. Der andere Kandidat engagiert sich vielleicht als Fußballtrainer und könnte somit Verantwortung im Team tragen.
Es geht darum, auf allen Ebenen herauszufinden wie FK-Kandidaten grundsätzlich handeln. In Ergänzung empfehlen sich Kompetenzmessungen, Rollenspiele/ Improvisationstheater und zeitgemäße Assessments. Abzusehen ist von den grundsätzlich als nervig empfundenen “kognitiven Tests”. Dessen Ergebnisse sind -ebenso wie Verhaltenstests - nur eine Blitzlichtaufnahme. Es muss uns gelingen, möglichst emotionale, praktische Aufgaben zu stellen.
Das Ziel bei der Identifikation von FKN ist die Unterscheidung von rücksichtslosen Ehrgeizlingen von echten Führungskräften. Die Skill- und Kompetenzmessungen auf digitaler Basis finden übrigens auch schüchterne, zurückhaltende oder gar ängstliche Menschen mit echtem Führungspotential. Sind unsere Potentiellen erst einmal identifiziert, geht es nun darum das optimale Entwicklungsprogramm auszugestalten.
Das Format “Seminar” mit all seinen starren Vorgaben: Festgelegter Stoffplan, feste Zeiten, Orte und Pläne, gehört ins Archiv. Wenn wir auf jeder Veränderung von außen ( Brexit, Corona, Krisen) mit dem Besuch von Seminaren reagieren wollen, werden wir immer hinterherhinken. Heute erwarten die FKN beispielsweise kompetenzorientierte Förderung und informelles Lernen. Daher führt es auch nicht zum optimalen Ergebnis, wenn die Verantwortlichen ständig auf der Suche nach geeigneten Veranstaltungen für ihre Kandidaten sind, sondern vielmehr sollten wir vom Zielergebnis rückwärts denken. Wir brauchen keine einheitlich glattgeschliffenen “Everybody's Darlings” sondern individuelle Kompetenzen, die in ihrer Zusammensetzung eine geballte Zukunftskraft für das Unternehmen darstellen. Kompetenzen ergänzen sich.
Ein Beispiel: Unser Unternehmen heißt “Bankraub”. Damit ist auch bereits der Unternehmenszweck erklärt. Für einen Bankraub werden unterschiedliche Kompetenzen benötigt, um erfolgreich zu sein. Das Team “Wir-gehen-in-die-Bank-rein” braucht Überzeugungskraft, muss sich mit Waffen auskennen und auch in extrem stressigen Situationen bei klarem Verstand bleiben. Das Team “Fluchtweg” muss über eine gute Logistik verfügen, sich mit schnellen Fahrzeugen auskennen und exzellente Fahrer sein.
Das Team “Vermarktung” hat ein hervorragendes Netzwerk, ist Finanzexperte und IT-Spezialist. Daneben gibt es natürlich noch das Team Planung, Beschaffung etc. Dieses Beispiel macht uns klar, warum sich ein Führungsteam aus völlig unterschiedlichen Kompetenzen und entsprechend unterschiedlichen Entwicklungsmaßnahmen zusammensetzt. Was alle verbindet, sind die Kernkompetenzen des Unternehmens und vor allem gemeinsame Werte. Werten sind auch Brücken über fehlende Erfahrungen.
Ein kleines Beispiel: Der Mitarbeiter einer Motorenfirma gerät unter den Druck eines Kunden, weil das Auslieferungsdatum überschritten wurde. Der Kunde fordert die sofortige Lieferung. Der Mitarbeiter steckt nun in einem Dilemma. Er weiß, dass der Motor die Qualitätskontrolle noch nicht zu 100% durchlaufen hat. Wenn er sich entscheidet auszuliefern, kann er von mehreren Seiten Probleme bekommen - vor allem dann, wenn später ein Fehler auftaucht.
Ein entsetzlicher Druck. Hier können Werte - in diesem Fall in Form eines Prinzips- Abhilfe schaffen. Wenn alle im Unternehmen das Prinzip “Qualität vor Schnelligkeit” teilen, dann könnte der Mitarbeiter seinem Kunden sagen: “Es tut mir leid. Kein Produkt verlässt unser Haus ohne 100%ige Qualitätskontrolle und wir sind bereit, die Konsequenzen zu tragen”. Und ALLE im Haus würden diese Entscheidung mittragen.
Für die FKN bedeutet dies die Entwicklung hin zu selbstorganisiertem Lernen, Entscheiden und Handeln. Das ist, was wir ihnen ermöglichen müssen. Es geht also um einen Lernraum aus fachlichen Inhalten, praktisch-emotionalen Erfahrungen und der Verinnerlichung von Werten. Um dieses FKN umzusetzen, müssen zum einen sofort digitale Hilfsmittel mit KI-Unterstützung in Form eines Learning Experience Ecosystems zu Einsatz kommen (u.a. Talent-/ Learning-/ Wissensmanagement), andererseits sollte es uns gelingen, die FKN zusätzlich mit einem Masterabschluss zu motivieren, was im Übrigen noch den Vorteil einer Bindung von 4-5 Jahren mit sich bringt. Ein Führungskräftenachwuchsprogramm in einen Inhouse-MBA zu installieren ist mit entsprechender Unterstützung kein Hexenwerk, doch die Wertigkeit des Programms bekommt zusätzlich eine andere Dimension.
Denn was bringt es, wenn Unternehmen ihre High Potentials auf externe MBA-Hochschulen entsenden? Dort werden zum großen Teil fremde Inhalte vermittelt, die nicht optimal auf das Unternehmen passen. Das ist wenig effizient. Führungskräfte können Productmanager, Teamleader oder Werksleiter sein, die Anforderungen sind immer individuell. Es ist klar, dass gewisse Standardthemen für alle gemeinsam gelten können, doch viel wichtiger für die Gemeinschaft aller Führungskräfte sind die Kompetenzrituale zur Reflexion der anstehenden Aufgaben im Lernduett, im Kontakt mit dem Facilitator (dem “Ermöglicher” der eigenen Entwicklung) und natürlich im Team. Denn JEDE beteiligte FK hat kontinuierlich ein eigenes Entwicklungsprojekt und kann und muss sich deshalb jederzeit mit anderen darüber austauschen.
Ein innovatives 360 Grad FKN-Programm setzt sich aus digitalen AI-Tools, der Befähigung zu selbstorganisiertem Lernen, Entscheiden und Handeln und dem entsprechenden organisatorisch-technischen Ermöglichungsraum zusammen. Im Ergebnis ist dies ein klarer Paradigmenwechsel, der ein neues Denken und Handeln der Programleader erfordert.
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